styx erzählt mit Texten, Bildern und Musik die Geschichte von nightstar und i.Love. Beide treffen sich zufällig im Internet. Nach kurzem Chat bricht der Kontakt ab. i.love ist nicht mehr online- nightstar stürzt in einen Strudel aus Selbstzweifeln und Halluzinationen.
„Dein Geruch ist in den Benutzerangaben leider nicht zu finden. Dein Foto auf meinem Bildschirm ein Ausschnitt der nicht Du ist…“
Pressetext aus 2008 😆:
Zwischenmenschliche Kontakte im Internet ODER Was ist die Realität?
Der Hype um Web 2.0 Plattformen ist vorbei, dennoch verlieben sich immer Menschen im Internet. Potenzielle Partner können anhand ihrer Benutzerfotos, Selbstbeschreibung, Hobbys oder ihrem Filmgeschmack aussortiert werden, daraufhin ist leicht mit dem virtuellen Gegenüber Kontakt aufzunehmen.
Bis zum ersten Treffen vergehen meist einige Wochen, in denen sich Email- Postfächer füllen und allerhand persönliche Informationen ausgetauscht werden. Bist du in Wirklichkeit hässlicher? Bist Du wirklich eine Frau? Bin ich verliebt? Warum bist Du nicht mehr online?
Mit diesen und mehr Fragen beschäftigt sich der Lyrik-Bildband „styx“ von Steffen Schmidt, der jetzt im Synergia-Verlag mit Soundtrack-CD von smood&cornsen erschienen ist. Die lyrischen Textfragmente vermischen sich mit den 3D-Fotografien von Thorsten Greiner zu der Theaterperformance „styx“.
Quelle: Synergia Verlag
styx von Steffen Schmidt. Synergia Verlag, 2008, 52 S., m. farb. Fotos, gebunden, mit CD,
ISBN: 978-3-940392-09-1
„Auf dem mythischen Fluss, der den Hades neun Mal umfließt und dabei die Lebenden von den Toten trennt, surfen die beiden Figuren, die sich „i.love“ und „nightstar“ nennen, von der Realität in den virtuellen Raum.“
(Darmstädter Echo)
ENDSTATION INTERNET
Theaterregisseur Steffen Schmidt und Videokünstler Thorsten Greiner zeigen den von Tennessee Williams inspirierten Kurzfilm „50 Prozent Illusion“, der für riesige Planetariumskuppeln erstellt wurde.
Wenn Körper und Identität, Wahn und Wirklichkeit auseinander driften, wird’s für die Darmstädter Multimedia-Performer Thorsten Greiner (37) und Steffen Schmidt (27) erst richtig interessant. Dann lassen sie Blanche DuBois aus „Endstation Sehnsucht“ in die geistige Umnachtung tanzen, sie bebildern die Psychose des Sturm-und-Drang-Dramatikers Jakob Michael Reinhold Lenz, und sie folgen zwei Gestalten, die beim Internetflirt aufeinander treffen und sich dabei selbst verlieren.
VERLIEBTE SURFER ZWISCHEN LEBEN UND TOD
„Styx“ heißt das von Steffen Schmidt inszenierte Online-Stück, das nach der Premiere 2007 in Marburg und einigen Gastspielen am 26. September auch in der Darmstädter Halle „603qm“ zu sehen sein soll. Auf dem mythischen Fluss, der den Hades neun Mal umfließt und dabei die Lebenden von den Toten trennt, surfen die beiden Figuren, die sich „i.love“ und „nightstar“ nennen, von der Realität in den virtuellen Raum.
Das beginnt mit einem tatsächlichen Chat, der sich als Bühnenprojektion nachvollziehen lässt, und endet in paranoiden Visionen. „Nightstar verliert sich in Fantasien, die er von i.love hat“, sagt Schmidt. „Existiert sie wirklich, oder ist sie nur der Scherz eines IBM-Mitarbeiters? Es entsteht ein Strudel von Wahnvorstellungen.“ Für diesen visuellen Effekt im Datenstrom Styx sorgt der Diplomphysiker und Videokünstler Greiner, der die Schauspieler in stereoskopischen Einzelaufnahmen abgelichtet hat, um daraus eine dreidimensionale Projektion zu machen. Wenn der Wahn wütet, zieht das Publikum Spezialbrillen auf, sieht die Vision im Hintergrund plastisch und die Realität vorne verschwommen. „Das gibt eine absolute Wahrnehmungsüberforderung“, sagt Schmidt, der seine Inszenierung am liebsten vom Theater weg, hinein in Clubs verlagert.
Dort vermutet er am ehesten das Zielpublikum: junge Leute, die selbst täglich mit einem Alter ego durch den Cyberspace spazieren. Von den Erlebnissen solcher Zeitgenossen sei „Styx“ schließlich auch inspiriert, erzählen die beiden, die schon Ende der Neunziger Konzepte vom Leben in der virtuellen Welt entworfen haben. Was damals Science Fiction war, ist längst von der Realität eingeholt.
Auf demselben technischen Niveau, auf dem Greiner und Schmidt ein Drama aus dem Internet herauswachsen lassen, begegnen sie auch literarischen Figuren. Thorsten Greiner, der Ende 2007 am Staatstheater Darmstadt die Videos fürs Bühnenbild der Inszenierung „Endstation Sehnsucht“ entworfen hatte, machte diese Arbeit zum Ausgangspunkt für ein Filmprojekt.
Blanche DuBois, die überspannte Südstaatenschönheit, die der Autor Tennessee Williams am Ende in die Nervenheilanstalt schickt, darf in Greiners Film „50 Prozent Illusion“ von der Euphorie in die Depression tanzen. Die Aufnahmen einer Tänzerin hat Greiner am Rechner verfremdet, Körper und Bewegung aufgelöst in eine Vielzahl farbiger Quader.
Gezeigt wird die extreme Weitwinkelprojektion auf den 800 Quadratmeter großen 360-Grad-Kuppelleinwänden von Planetarien, und dort hat der Film bereits Erfolge gefeiert: Einen Publikumspreis gab es beim Full Dome Festival in Jena und einen Kunstpreis bei einem Wettbewerb in Chicago.
„50 Prozent Illusion“ nimmt die Handlung des Schauspiels als Hirnspuk und macht die Kuppelleinwand quasi zum Inneren der Schädeldecke, wo der irrlichternde Geist seine Schatten wirft. Williams und seine Blanche sind denn auch nicht mehr wiederzuerkennen. „Es ist eine Sammlung von abstrakten Konzepten und hat dennoch eine Sinnlichkeit“, kommentiert Greiner seinen Vierminüter, an dessen Ende die Bewegungen unruhig und umharmonisch geraten, der Körper amorph wird und sich auflöst.
Mangels einer gewölbten Leinwand ist dieser Film in Darmstadt nicht zu sehen, dafür zeigen Schmidt und Greiner am 26. September im „603qm“ eine audiovisuelle Lesung von Büchners Novelle „Lenz“. Die Erzählung aus dem Jahr 1835 ist das Porträt eines geistig zerrütteten Dichters: „Mein Lieblingstext“, sagt Schmidt, der Büchner am Rechner live mit Sounds versieht.
Thorsten Greiner spielt parallel dazu auf einer Tastatur zwischen 800 und 1000 verschiedene kurze Bildfolgen ein, als würden die Synapsen im Hirn von Lenz flackern und ständig neue Bilder ins Unterbewusstsein feuern, das bei dieser Performance offen auf der Bühne liegt.
Was man nicht greifen und schwer begreifen kann, reizt die Darmstädter Performer. Mit Konzept und Technik lösen sie sich von Geschichten und Körpern, wollen stattdessen unfassbare Zustände als Form, Farbe und Klang bannen.
Stefan Benz | 14.7.2008; Darmstädter Echo